Brass | Von Hans-Jürgen Schaal

Die Posaunistin Shannon Barnett

Shannon Barnett
Shannon Barnett (Foto: Lena Ganssmann)

Sie gewann den WDR Jazzpreis und den Deutschen Jazzpreis, spielte fünf Jahre lang in der WDR Big Band und ist seit 2019 Professorin in Köln. Die Presse lobt Shannon Barnett als “posaunistische Urgewalt” und “eine der aufregendsten Improvisatorinnen”.

Shannon Barnett nur “wandlungsfähig” zu nennen, wäre eine glatte Untertreibung. Die australische Posaunistin, die vor zehn Jahren nach Deutschland kam, hat in ganz verschiedenen Spielarten des Jazz Wesentliches zu sagen. Ihr Spektrum reicht dabei von den nos­talgischen Oldtime-Innovatoren von Echoes Of Swing bis hin zur provokanten Punk-Metal-Jazz-Band Tribe. Auch auf Combo-Alben von Sebastian Gramss, Simon Nabatov oder Hendrika Entzian ist Barnetts Posaune zu hören – und ebenso auf Orchester-Produktionen der WDR Big Band und HR Big Band.

Und nicht nur als Posaunistin (“die Posaune wählte mich, als ich zwölf war”) sorgt Shannon Barnett für Aufsehen – als Sängerin weiß sie ebenfalls zu gefallen, etwa mit ihrer Band Wolves And Mirrors oder mit einer Vokalballade auf ihrem aktuellen Konzertalbum “Alive At Loft”. Vor einigen Jahren überraschte sie sogar mit einem schrillen Performance-Projekt in einem Kölner Fitnessstudio. “Das Studio liegt in einem schönen Altbau-Gebäude, und da habe ich meiner Fitness-Trainerin gesagt, es wäre doch schön, hier Musik zu machen. So hat es angefangen – und dann saßen plötzlich fünf Saxofonisten auf Fitnessrädern.” Humor hat sie auch, so viel steht fest. 

Seit Jahren leitet Barnett ein festes Quartett mit Stefan Karl Schmid (Saxofon), David Helm (Bass) und Fabian Arends (Schlagzeug) als Mitspielern. Auch diese Band kennt ein breites stilistisches Spektrum. Das Studioalbum von 2022 zum Beispiel präsentiert sieben Eigenkompositionen von Barnett mit der Tendenz zu freier Improvisation und freier Time. Das neue Livealbum dagegen bietet ein Standards-Programm (von Duke Ellington bis Ornette Coleman) mit viel Swing dabei. Entstanden ist das Livealbum bei einem Projekt im Kölner “Loft”: Drei Bands spielten dort eine Woche lang jeden Abend ein Set ihrer Lieblings-Standards. Shannon Barnett nutzte diese Gelegenheit, um “die Musik, die ursprünglich mein Interesse an der Improvisation geweckt hat, zu würdigen und neu zu gestalten. Also wählte ich Stücke aus, die mir etwas bedeuten und die zugleich dem offenen und freien Spielgefühl der Band entgegenkommen.”

Shannon Barnett
Shannon Barnett (Foto: Lena Ganssmann)

Das Interview mit Shannon Barnett führte Hans-Jürgen Schaal.

Mich verblüfft immer wieder deine Vielseitigkeit. Du hast Bigband gespielt und Soul-Funk, Oldtime-Jazz und Avantgarde-Jazz, Zirkusmusik und Reggae … 

Ich denke, als Musikerin bzw. Musiker kann man von allen Stilen etwas lernen. Musik ist für mich ein bisschen wie eine Sprache, die viele Dialekte hat. 

Als Kind wolltest du eigentlich Klarinette lernen, heißt es. Was zog dich damals zur Klarinette? 

Eigentlich war das nur der Fall, weil ich mit der Blockflöte angefangen hatte. Ich dachte, Klarinette wäre der nächste logische Schritt. Und wahrscheinlich kam es auch, weil ich damals als schüchterner Teenager nicht mit einem großen, lauten Instrument auffallen wollte.

Du bist dann aber bei der Posaune gelandet. Hast du es je bereut? 

Ich glaube, fast jede Musikerin und jeder Musiker stellt sich immer wieder Fragen bezüglich des eigenen Musiker-Lebens, aber die Wahl des Instruments habe ich nie bereut. 

Du warst in Australien und den USA bereits als Musikerin etabliert, bist aber dann 2014 nach Deutschland gekommen, zur WDR Big Band. Hattest du einen Bezug zu Deutschland? 

Nicht wirklich. Ich kannte schon Andy Hunter (3. Posaune in der WDR Big Band) und er hat mich als mögliche Kandidatin empfohlen. Das Ganze ist innerhalb weniger Monate passiert; ich hatte ein Vorspiel, eine Probephase und dann lebte ich plötzlich in Deutschland. Und musste anfangen, die Sprache zu lernen!

Womit hattest du in Deutschland die größten Probleme: a) Sprache, b) Mentalität, c) Bürokratie, d) etwas anderes?

Haha, ich würde diese Themen nicht unbedingt als Probleme beschreiben, sondern als Unterschiede. Es gibt viele Unterschiede zwischen Australien und Deutschland – und ich erlebe sie immer wieder. Ein amüsantes Beispiel ist die Art und Weise, wie man hier Zahlen darstellt. Kurz nach meiner Ankunft in Deutschland gelang es mir, das Auszahlungslimit meines Bankkontos auf 2 Euro zu beschränken. [Anm. d. Red.: In den englischsprachigen Ländern setzt man das Komma hinter die Tausenderstelle.]

Wie wichtig war für dich die Arbeit in der WDR Big Band? Was hast du davon mitgenommen?

Es war eine tolle Erfahrung, in dieser Band zu spielen. Es hat mich motiviert, eine bessere Posaunistin zu werden, aber am besten war (glaube ich) der Kontakt zu den Gastmusikern. Ich durfte Jazzgeschichte direkt von den Quellen erleben; eine große Ehre.

2019 hast du die WDR Big Band verlassen. War das so geplant? War es – von heute aus gesehen – der richtige Zeitpunkt, auch unterm Aspekt der kurz darauf einsetzenden Corona-Pandemie? 

Das war nicht geplant, aber im Nachhinein war es genau der richtige Zeitpunkt für mich. Man muss das Bauchgefühl ernst nehmen. 

Worin siehst du die besonderen Chancen der Posaune heute? Ist ihre größte Stärke, dass man sie nicht so häufig als Lead-Instrument hört?

Ich denke, dass sich die Rolle der Posaune im Jazz sehr schnell weiterentwickelt, vor allem weil man heutzutage häufig Spieler und Spielerinnen hört, die auf dem Instrument ein virtuoses Niveau erreicht haben. Ich glaube, dass die Fähigkeiten und Eigenschaften des Instruments lange Zeit übersehen wurden. Außerdem ist es gerade üblich, Posaune in Popbands zu hören, wie zum Beispiel Kalia Vandever bei Harry Styles oder Carla Köllner bei AnnenMayKantereit. Es ist ein vielseitiges Instrument und das feiere ich!

Mit deinem Quartett arbeitest du seit 2015 in unveränderter Besetzung. Was ist das Geheimnis eures Zusammenhalts? Bist du eine gute Diplomatin?

Ich bin sehr dankbar dafür, dass ich mit diesen drei unglaublich talentierten Musikern spielen darf. Im Laufe der Jahre haben wir uns alle verändert und das hält die Musik frisch. Ich hoffe, dass meine Mitmusiker die Meinung teilen, dass in der Band sich jeder frei ausdrücken kann.

Dein Quartett spielt mit zwei Bläsern, aber ohne Klavier. 

Die Posaune bewegt sich ganz oft in einer ähnlichen Lage wie die Klavierbegleitung. Ohne Klavier habe ich daher mehr Freiheit. In anderen Kontexten mag ich es aber, mit Klavier zu spielen.

Deine Alben enthalten sehr wenig Information, keine Liner Notes, keine Kommentare zu den Stücken. Bist du der Meinung, dass deine Musik ganz allein für sich sprechen sollte? 

Heutzutage hören viele Leute die Musik über Streaming-Dienste und lesen daher ohnehin keine Liner Notes. Das finde ich natürlich andererseits schade. 

Du beginnst gerade eine weitere Karriere als Singer-Songwriterin namens Janet Bonnet. Über den Songtitel “You Go Me On The Cookie” musste ich sehr lachen. Was erwartet uns da? Wird es noch mehr deutsch-englische Sprach-Verballhornungen geben?

Mein Alter Ego Janet Bonnet hat auf jeden Fall Pläne, mehr Spaß mit Wortspielen und Übersetzungen zu haben, ja. Dieses Jahr – voraussichtlich – werde ich auch ein Album als etwas ernstere Singer-Songwriterin veröffentlichen. Das habe ich zusammen mit einem Freund aus Aus­tralien, James Gilligan, und dem Bassisten und Singer-Songwriter David Helm gemacht. 

Welche aktuellen Posaunisten oder Posaunistinnen hörst du besonders gerne? 

Ich bin seit Jahrzehnten Nils-Wogram-Fan und höre ihn immer wieder gern. Außerdem höre ich gerne Posaunisten und Posaunistinnen, die etwas anderes oder Neues mit dem Instrument machen, darunter gerade Til Künkler und Jacob Garchik.

Was sind deine aktuellen Projekte, Pläne, Träume?

Ich freue mich sehr, Teil der nächsten Edition der Monheim Triennale zu sein. Das gibt mir unter anderem auch die Gelegenheit, 2025 ein Traumprojekt auf die Beine zu stellen. Also, stay ­tuned …

Shannon Barnett Quartet
Shannon Barnett Quartet (Foto: Kilian Amrehn)